Assists im Yoga: Chancen, Grenzen & sicherer Umgang mit Hands-on
Assists können wertvolle Orientierung geben – solange sie ein klares Ja haben, nervensystemfreundlich sind und Aktivität statt Passivität fördern. In diesem Beitrag zeigen wir, warum wir Hands-on sparsam und gezielt einsetzen, welche Alternativen es gibt und wie du Assists so gestaltest, dass sie Menschen selbstermächtigen statt sie in Formen zu drücken.
Was meinen wir mit „Assist“?
Im Yoga gibt es verschiedene Arten zu assistieren:
Verbal – Sprache, Bilder, Richtung, Tempo
Visuell – Vormachen, Optionen zeigen
Taktil – Berührung: von aktivierendem Feedback bis zum „Reindrücken“
Hilfsmittel – Blöcke, Bänder, Wände, Bolster
Selbst-Touch – die eigene Hand als Feedback (z. B. an Rippen/Becken)
In vielen Ausbildungen liegt der Fokus traditionell auf Hands-on. Wir hinterfragen das: Nicht jede Berührung hilft – und nicht jede Absicht kommt so an, wie sie gemeint ist.
Unser Leitbild: Aktiv vor passiv
Wir unterscheiden zwischen:
Passiven Assists: Lehrende erzeugen von außen einen Winkel/Range, den die Person alleine nicht halten kann (z. B. tiefer drücken, stärker eindrehen).
Aktivierenden Assists: Lehrende geben zielgenaues Feedback, das die Person selbst in Kraft, Richtung oder Atem umsetzt („drück hier in meine Hand“, „lift hierhin“).
Warum aktiv?
fördert Körperwahrnehmung & Motorik,
respektiert individuelle Anatomie,
schützt Hypermobilität/unteren Rücken,
stärkt Autonomie & Vertrauen.
Consent ist Pflicht, nicht Kür
Vorab fragen (z. B. Consent-Cards oder klare Abfrage zu Stundenbeginn).
Situativ bestätigen (besonders in Positionen mit geschlossenen Augen/limited Sicht).
Ein Nein ist ein Nein – ohne Nachfragen, ohne Rechtfertigung.
Kontext ansagen, bevor du berührst („Ich bin links neben dir und lege dir die Fingerspitzen an den unteren Rippenbogen – magst du?“).
Nervensystem im Blick
Sprache, Nähe und Berührung beeinflussen Erregungszustände. Überraschende oder intensive Hands-on können Stress triggern – besonders in Endentspannung oder mit Hintergrund von Schmerz/Trauma.
Praktisch: Ankündigen, Rhythmus beruhigen, Atem lenken („nach hinten atmen“), qualitative (nicht quantitative) Ziele setzen.
Die 4-Stufen-Leiter der Assists (unsere Praxis)
Verbales Cueing – Richtung, Druckpunkte, Atemräume, Entscheidungen anbieten.
Hilfsmittel & Umwelt – Block unter Kreuzbein (Low Bridge) für Becken-Feedback; Band an den Rippen; Wandkontakte.
Selbst-Touch – Hände an Rippen/Becken/Schulterblatt: „Spürst du, was sich bewegt?“
Hands-on aktivierend/stabilisierend – kurz, präzise, leicht: „Drück meine Fingerspitzen weg“, „Lifte in meine Hand“. Kein „Reindrücken“.
Konkrete Beispiele aus der Stunde
1) Twists (Drehsitz, Lunge, Chair-Twist)
Häufiges Problem: Passiv „weiterdrehen“ → Kompensation im unteren Rücken.
Unser Assist:
Hände oberhalb des Drehzentrums (Brustkorb), Fingerspitzen als Ziel → „Lifte in meine Hand“.
Unterer Körper bleibt selbst stabilisiert (Druck über Fuß/Boden).
Warum: Schutz LWS/ISG, Atmen bleibt möglich.
2) Ustrasana/Kamel
Häufiges Problem: Von außen „bögen“ (Füße/Becken drücken) → Überlast unterer Rücken.
Unser Assist:
Fingerspitze unter Schlüsselbein: „Schieb mich nach oben“ → Thorax hebt, Core organisiert.
Leichte Finger vorn am Becken (nicht pushen): „Kipp mich minimal nach vorn, so dass du dich selbst hältst.“
Ziel: Eigenen, atmbaren Winkel finden – kein erzwungener End-Range.
3) Utkatasana/Stuhl
Häufiges Problem: Tiefe als Dogma, ungewollte Intimität (Lehrende als „Sitzbank“), Nackenkompression.
Unser Assist:
Hand hinter untere Rippen (1–2 cm Abstand): „Lifte hierhin.“
Fingerspitzen außen an die Fußkanten: „Drück mich in den Boden.“
Cueing: Blick leicht absenken, Rippen organisieren, eigene Tiefe wählen.
4) Herabschauender Hund (inkl. dreibeinig)
Häufiges Problem: Becken hochziehen → Brustkorb kollabiert; im 3-Bein kippt Beckenseite.
Unser Assist:
Fingerspitzen an Handaußenkanten: „Drück den Boden weg.“
Sanfte Berührung auf Schulterblättern: „Aktiv nach oben schieben.“
Beim 3-Bein: Hand über die absinkende Beckenseite: „Lifte bis Becken parallel.“
Cueing: Knie beugen ist erlaubt – Länge im Rücken zählt.
Do’s & Don’ts für Lehrende
Do
Consent einholen – und später wieder.
Präzise, kurze Assists; klar ansagen, wo/wie/lang.
Aktivierende Ziele: Druckrichtung, Atemraum, „Lifte/Drücke“.
Optionen statt Dogmen (kein Einheitswinkel).
Don’t
Kein „Reindrücken“ in End-Range/Schmerz.
Keine überraschenden Berührungen (v. a. in Kind/Savasana).
Kein Posieren für ein „richtiges“ Bild; keine Posenhierarchie.
Nicht an empfindlichen Zonen greifen (Waden etc.), wenn nicht explizit gewünscht.
Für Teilnehmende: So kommunizierst du Grenzen
„Heute bitte keine Hands-on, danke.“
„Nur stabilisierende Berührungen, kein Deeper-Push.“
„Bitte vorher sagen, wo du berührst.“
„Stop – das fühlt sich nicht gut an.“
FAQ
Sind Assists notwendig?
Nein. Sie sind optionale Lernhilfen. Viele Anliegen lassen sich verbal/mit Hilfsmitteln lösen.
Sind Hands-on gefährlich?
Nicht per se. Passives Reindrücken erhöht aber das Risiko (v. a. LWS/ISG, Hypermobilität). Aktivierende, leichte, kurze Assists mit Consent sind sicherer.
Wie assistiere ich große Gruppen?
Leiter nutzen (verbal → Hilfsmittel → Selbst-Touch → kurz Hands-on), universelle Boden-Cues, klare Sichtlinien, ruhige Sprache, gezieltes Spotlighting statt Dauer-Hands-on.
Warum fühlen sich manche Assists „zu viel“ an?
Intensität, Nähe, Überraschung und persönliche Historie spielen mit. Deshalb: ankündigen, fragen, reduzieren.
Fazit
Gute Assists machen Menschen kompetenter, nicht abhängiger. Sie respektieren Grenzen, priorisieren Eigentätigkeit und sind nervensystemfreundlich. Weniger „Form modellieren“, mehr Funktion ermöglichen.
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